Oh weh mir!
Diese alten Wohnblöcke gibt es immer seltenen in der Stadt. Nicht, dass sie besonders schön wären, aber wenn sie abgerissen werden, sind die Neubauten auch nicht schöner, nur viel, viel höher.
Da gibt es die skurrilen deutschen Eigenarten, die sich darin ausdrücken, dass man versucht alles in einem technischen Rahmen zu erledigen. So wie Blixa Bargeld (Sänger der Gruppe „Einstürzende Neubauten“), der laut eigener Aussage Texte schreibt, indem er Tabellen anlegt, oder auch die Musik der Gruppe selber, die mehr zweckentfremdete Maschinen zur Klangerzeugung nutzt, als herkömmliche Instrumente.
Ein anderes Beispiel wäre die Musik der Gruppe Kraftwerk, deren interessante Eigenart sie bereits seit 1970 aus der sterilen Kühle der Technisierung schöpfen und damit weltberühmt geworden sind. Dazu die Interviews, in denen sich Bandmitglieder ebenso gesprächsfreudig, wie ihre stummen Roboter-Ebenbilder dargestellt haben.
Und ein wenig davon steckt ja irgendwie auch in jedem einzelnen Deutschen, oder nicht ?
So sieht man sich gerne als Deutscher, wenn man in einem anderen Land lebt. Zugegeben etwas seltsam, aber interessant in seinen Eigenarten und einzigartig.
Daneben gibt es natürlich auch ganz allgemeine deutsche Eigenarten. Es gibt zum Beispiel die positiven Vorurteile, wie:
Deutsche sind pünktlich, ordentlich und arbeiten sauber und genau (was sich in gewisser Weise ja auch wieder zu einem gewissen Grad mit den skurrilen Eigenarten deckt).
Dann gibt es noch die negativen Vorurteile. Zum Beispiel dass die Deutschen allesamt ständig besoffen und über die Massen rechthaberisch sind, um nur zwei zu nennen.
Daneben gibt es natürlich unzählige andere. Je nach Situation und wer gerade über die Deutschen redet.
Von Vergleichen mit gefühlskalten Paragraphenreitern oder verstockten, unromantischen Fachidioten bis hin zum immer wieder zitierten Nazi-Deutschen, der bereits so oft unangebracht angeführt wurde und wird, dass er inzwischen für alles mögliche stehen kann.
Dieser Ausdruck wird dem Unrecht für das er eigentlich stehen sollte in keinster Weise mehr gerecht, ist bloss noch zu einer Floskel verkommen.
Stimmt die deutsche Regierung irgendeinem europäischen Vorhaben nicht zu, sind am nächsten Tag in den Boulevardpressen sämtlicher Länder die Deutschen schon wieder einmal zu Nazis geworden.
Wer hätte gedacht, dass ein Begriff, der ursprünglich mit einem der schlimmsten Verbrechen der Menschheit assoziiert wurde, heutzutage nur noch ein müdes Lächeln hervorruft ?
Man muss sich die ursprüngliche Bedeutung immer wieder vor Augen führen, um nicht zu vergessen wofür er eigentlich steht.
Wie auch immer. Die Liste der Vorurteile ist endlos, so wie bei jeder anderen Nation auch.
Aber darüber möchte ich hier gar nicht schreiben, sondern viel mehr über die typischen deutschen Eigenarten, die mir im täglichen Leben immer wieder an mir selbst auffallen.
Kleines Beispiel gefällig ? Bitte sehr:
Ich bin vor ein paar Tagen morgens in einen kleinen Supermarkt gegangen und habe mir zwei kleine Flaschen eines Getränks gekauft.
Am nachmittag habe ich das gleiche noch einmal in dem Laden gekauft und bekam eine dritte Flasche gratis dazu.
Aber anstatt mich zu freuen, war mein erster Gedanke: „Die Verkäuferin heute morgen hat mich beschissen“.
Und das ärgert mich. Und zwar nicht, dass die Möglichkeit besteht und die Verkäuferin mir tatsächlich etwas vorenthalten haben könnte, sondern ich ärgere mich über mich selbst:
Ich bekomme etwas umsonst und alles was ich tue ist erst einmal unzufrieden zu sein.
Warum ist das so ? Ich habe die Vermutung, dass dieses Gefühl des sich ständig benachteiligt fühlens seine Wurzeln tief in der westlichen Erziehung hat.
Zugegeben, in China entspricht das in der Regel der Wahrheit, wenn man als Ausländer einkaufen geht, aber das erklärt nicht den Drang grundsätzlich alles negativ zu sehen.
In diesem Fall war es tatsächlich so, dass es um die Mittagszeit eine Art HappyHour gibt, in der man zu zwei Getränken der gleichen Marke ein drittes kostenlos dazu bekommt.
Also überhaupt kein Grund sich aufzuregen. Und trotzdem war der erste Gedanke: „Vorhin bin ich benachteiligt worden“.
Deutsche fühlen sich immer benachteiligt und unfair behandelt. Ein Vorurteil, das einen Grossteil der Deutschen ständig beschäftigt und das zu einer unschönen Eigenart der Deutschen führt: Dem Lamentieren.
„Alles ist so schlimm, früher war alles besser, es gibt keine soziale Gerechtigkeit mehr“... etc.pp.
Das mögen ja alles durchaus richtige Aussagen sein, aber es wird meist sehr übertrieben.
Wenn man eine Zeit lang im Ausland war und zurück nach Deutschland kommt, könnte man meinen, die Inflation hätte es den Deutschen inzwischen unmöglich gemacht einen Laib Brot zu kaufen.
Und das eigentliche Problem daran, warum es mich so ärgert: Ich trage es auch in mir. „Alle sind böse!“
Ich muss mich dann tatsächlich selber stoppen, um nicht im Strudel des Selbstmitleids heruntergerissen zu werden.
Das perfide an der ganzen Situation ist, dass man gar nicht all zu weit in der Welt umherwandern muss um Menschen zu finden, die sozial und finanziell mit einem selbst verglichen tatsächlich Grund hätten zu heulen, es aber nicht tun.
Ganz im Gegenteil. Sie hadern nicht mit ihrem Leben, sie leben es einfach. Mit einem Lächeln auf den Lippen und ganz ohne den Bessergestellten (mir zum Beispiel) etwas zu missgönnen.
Und dann schäme ich mich jedes Mal. Ich bin vergleichsweise privilegiert aufgewachsen, in einem Land mit einem gut funktionierenden Sozialsystem, bezahlbarer Ausbildung, ohne je natürliche oder andere Katastrophen erlebt zu haben, in einer Region, in der es mein gesamtes Leben lang weder Krieg noch Hunger gab und das Wort Überfluss täglicher Begleiter war und ist.
Eine wichtige Sache, die ich persönlich aus dem Leben fern der Heimat gelernt habe, ist die Gewissheit, dass nicht alles so schlimm ist, wie es erst einmal scheint.
Erst einmal ist es im Vergleich zu anderen Menschen in der Regel schon nicht mehr so schlimm und im zweiten Schritt kann man dann erkennen, dass jede Situation für sich selbst genommen auch gar nicht so schlimm ist, wenn man es einfach nur einmal unvoreingenommen betrachtet. Die Welt endet nicht auf Grund von persönlichen Unannehmlichkeiten.
Ich versuche also meinen Fokus auf die positiven Dinge zu lenken und es klappt tatsächlich immer besser.
Angefangen die Wahrnehmung bewusst so zu lenken, habe ich tatsächlich hier in China und was soll ich Ihnen sagen: Das Leben ist seitdem immer besser geworden, jeden einzelnen Tag.
Somit können wir den Ausspruch „Oh weh mir!“, getrost in dem Stück „Ein Stuhl in der Hölle“ belassen (um mal wieder auf die „Einstürzenden Neubauten“ zurückzukommen) und ihn aus den meisten Situationen des täglichen Lebens streichen.
Zugegeben, manchmal fällt es schwer (wenn man zum Beispiel in einen Laden geht und ein Gratisgeschenk bekommt ), aber mit etwas gutem Willen wird es immer besser.
Glücklich zu sein ist tatsächlich ein Umstand, den man sich selbst erschafft ungeachtet der äusseren Einflüsse.
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