Am Arsch gelikt
Sie haben richtig gehört: Ein einfaches, braunes Ei vor weissem Hintergrund und ich frage mich, ob wir es mit der Parallelkultur im Internet nicht vielleicht doch ein wenig zu weit getrieben haben.
Aktuell haben weit mehr als 46 Millionen Menschen damit einen Teil ihrer Zeit bestritten, ein Frühstücksei berühmt zu machen (So etwas sind heutzutage Nachrichten).
Hat hier eigentlich noch irgendwer Freunde mit denen er vielleicht mal etwas Zeit verbringen könnte, anstatt so einen Blödsinn zu unterstützen ?
Na ja, wie auch immer. Bei den Freunden angelangt, sind wir auch direkt bei unserem Thema für heute:
Man hört ja immer wieder von Leuten, die eine Zeit lang in China gelebt haben, dass es unmöglich sei als Ausländer echte Freundschaften aufzubauen.
Nun, das ist in weiten Teilen korrekt. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen und es kommt natürlich auch immer auf einen selber an. Sucht man zum Beispiel an den richtigen Plätzen und unter den richtigen Voraussetzungen und spricht man etwas Chinesisch oder ist man komplett in der Opferrolle des Ausländers gefangen ?
Denn sehr, sehr oft wird man einfach nur als kostenloser Englischlehrer missbraucht. Ein Phänomen, das jeder Ausländer, der etwas länger in China war, schon einmal erlebt hat.
Aber ganz ab davon gibt es noch andere Dinge, die echte Freundschaften in China schwierig bis manchmal hin zu unmöglich machen.
Viele Ausländer berichten immer wieder, dass sie freundlich irgendwohin eingeladen werden, nur um dann festzustellen, dass sie als Accessoire herhalten müssen.
Chinesen „schmücken“ sich gerne mit einem ausländischen Freund, um bei den anderen Bekannten interessanter zu wirken.
Nicht selten wird man, nachdem man „vorgeführt“ wurde dann auch wieder verabschiedet, den spassigen Teil des Treffens möchte man doch lieber mit Gleichgesinnten verbringen.
Aber auch junge Frauen „schmücken“ sich gerne mit einem ausländischen Freund, ohne diese Beziehung all zu ernst zu nehmen. Erkennen kann man das immer ganz gut daran, dass sie den exotischen Prinzen nicht sofort ihren Eltern vorstellen, was in den meisten chinesischen Beziehungen normal wäre.
Junge Männer haben in der Regel weniger Probleme damit, allerdings bekommen viele es auch gar nicht mit und wundern sich, wenn sie ganz plötzlich für eine bessere Partie ohne ein Wimpernzucken einfach aussortiert werden.
Noch schwieriger ist es im Arbeitsleben Freundschaften aufzubauen, da sich diese Beziehungen fast ausschliesslich auf die Arbeit beziehen und neben dem Hierarchiedenken, das einigen Mitarbeitern untereinander die Annäherung erschwert, auch sonst fast nie private Kontakte daraus entstehen. Nett mit Kollegen weggehen funktioniert in der Regel nicht (das kommt natürlich auch wieder auf die Firma an. Im Kreativbereich sieht es ein wenig besser aus, aber allgemein ist es tatsächlich so).
Im Hinblick auf den Abgrund, der vermeintlich zwischen Chinesen und Ausländern klafft, kann man schnell den Eindruck gewinnen, man bewege sich in einer zwei Klassen Gesellschaft, aber das ist nicht ganz korrekt, denn Chinesen selber leiden auch unter diesem Phänomen.
Auch Chinesen haben keine echten Freunde mehr. Freundschaften, oder was man heute so als Freundschaften bezeichnet, orientieren sich stark daran, ob der andere bzw. seine Beziehungen einem irgendwann einmal beruflich oder in irgend einer anderen Weise hilfreich sein könnten.
Obwohl das Beziehungsdenken in China schon sehr alt ist, handelt es sich hier doch um einen Trend, der erst in letzter Zeit so drastische Ausmaße angenommen hat. Zusammen mit dem rapiden Aufschwung Chinas zu einer der grössten Weltwirtschaftsmächte hat sich auch das soziale Klima verändert.
Von aussen wahrt man immer noch den Schein einer Gesellschaft, die Hand in Hand das Wirtschaftswunder entstehen lässt, in Wahrheit sehen sich die Menschen immer öfter als direkte Konkurrenten.
Es fängt bereits im Klassenzimmer an: Wer bloß gute Noten schreibt und keine überdurchschnittlichen, der bleibt bereits auf der Strecke. Das Thema vom Kampf um die besten Studienplätze hatte ich ja bereits des öfteren erwähnt (zu nennen wären hier die Artikel Der große Test und Fleißiges Bienchen).
Auch das Knüpfen sozialer Kontakte im Kindesalter fällt eher bescheiden aus, da die Kleinen auch in ihren ausserschulischen Mal- Sport- und Musikunterrichtsstunden darauf konzentriert sind etwas zur Zufriedenheit der kritischen Beobachter zu meistern, stets unter den wachsamen Augen der Eltern, Verwandten und Lehrer. Das versetzt nicht nur der kindlichen Kreativität einen Todesstoß, sondern eliminiert auch die Gelegenheiten in denen die Kinder soziales Verhalten lernen könnten.
Ein Grund mehr, weshalb gerade meine Frau sich wünscht dass unser Sohn in Deutschland aufwächst und nicht hier.
Wenn man sich heute die sozialen Gefüge in China anschaut, dann ist da überhaupt kein Platz mehr für Freundschaften und wie wir gerade gesehen haben, findet selbst das Erlernen von Freundschaften in frühen Jahren nicht mehr statt.
Wen wundert es also dass, wenn sich kleine Grüppchen zum Karaoke (卡拉OK) oder Hot-Pot (火鍋 huǒ guō) verabreden (siehe Artikel Alles OK mit Carla bzw. Feuertopf), es oft mehr einem PR-Event gleicht als einem fröhlichen Beisammensein ? Gestellte Bilder, auf denen immer wieder die gleichen kessen oder erotischen Posen eingenommen werden, für die man sich teilweise vorher extra Kostüme kauft (nicht selten werden sie nach dem Event auch wieder zurückgesandt. Kann man ja heute alles) und abertausende von Fotografien der Gerichte und Snacks die man zu sich nimmt füllen die virtuellen Pinnwände der sozialen Netzwerke.
Freundschaften im realen Leben haben oft nicht mehr Bedeutung als eine Freundschaft auf einem sozialen Internetportal wie Facebook (nur dass diese in China eben nicht facebook, sondern QQ, WeChat und Weibo heissen). Man kennt sich, das genügt.
Ein Trend der nicht unbedingt typisch chinesisch ist, aber hier eben doch exzessiver ausgelebt wird als in anderen Teilen der Welt.
Und so können alle ihre täglich inszenierten möchtegern-Leben teilen und liken und re-posten und wieder liken. Manchmal denke ich: Das ist wie bei den Hunden, die sich auf der Strasse immer wieder am Hinterteil riechen und ganz aus dem Häuschen sind. „Am Arsch geliked“ wenn man so will.
Es ist ein trauriges Bild, wenn man es aus meinem Blickwinkel betrachtet. Wenn wir am Esstisch mit der ganzen Familie zusammensitzen (drei Generationen), kommen wir im Gespräch öfter darauf, dass ich noch Kontakte aus der Schule und dem Kindergarten pflege. Für die nachkommenden Generationen in China etwas unvorstellbares.
Neben all den beschriebenen Gründen auch, weil viele sich aus den Augen verlieren, wenn sie zum Studium ins Ausland gehen. Aus den Augen aus dem Sinn, egal wie sehr man sich vorher gelikt hat.
Übrigens: Zur Frage Schreibt man gelikt, geliket oder geliked ? Folgende Antwort von Dr. Werner Scholze-Stubenrecht (Leiter der Dudenredaktion):
„Der Duden hat sich dafür entschieden, der Einfachheit halber nach einem strikten Schema zu verfahren und bei Eindeutschungen dieser Art die für die deutschen Verben geltenden morphologischen Regeln auch dann anzuwenden, wenn ein im Hinblick auf die Aussprache irritierendes Schriftbild entsteht. Die Grundregel lautet für die Partizipien schwacher Verben: ge + Wortstamm + t. Bei »liken« sehen wir als Wortstamm »lik« an, was darauf zurückgeht, dass normalerweise der Stamm eines Wortes durch Abtrennung der Flexions- oder Wortbildungsendungen ermittelt wird (wie z. B. aus liking = lik + ing).
Nach diesem Muster haben wir schon eine Reihe von Festlegungen getroffen: neben »faken, gefakt« und »tunen, getunt« auch beispielsweise »canceln, gecancelt«, »timen, getimt«, »checken, gecheckt« und »managen, gemanagt«. Und entsprechend empfehlen wir auch »gelikt«.
Es ist uns klar, dass man »gecheckt« leichter akzeptieren kann als »gelikt«, aber wir halten es für eine entbehrliche Verkomplizierung, hier unterschiedliche Lösungen anzubieten. “
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