Prinz und Prinzessin
Strassensnacks in grossen Dämpfkörben.
Bis eben war noch alles Friede, Freude, Eierkuchen, doch plötzlich stampft sie mit dem Fuss auf, rollt die Augen und stösst explosionsartig Luft aus den aufgeblasenen Wangen.
Dieses Verhalten, das man in Deutschland eher aus Zeichentrickfilmen denn aus dem normalen Leben kennt, ist in China ziemlich normal und nennt sich 撒娇 (sā jiāo).
Übersetzt „sich wie ein verwöhntes Kind aufführen“. Und für unsereins sieht es tatsächlich ziemlich kindisch aus, dieses Verhalten würde man normalerweise nicht von seiner Partnerin erwarten.
Und doch ist es in China überhaupt nicht verpönt wie bei uns, sondern ganz im Gegenteil, oft sogar von der Männerwelt erwünscht. Man sieht es nicht als kindisch, sondern eben als kindlich an und das ist etwas, was in China jede Frau sein will.
Frauen die sich so verhalten gelten oft als feminin, anhänglich und auch etwas abhängig (in einer naiven Art). Und genau das ist es, was man an diesem sozialen Verhalten in der chinesischen Männerwelt so mag. Der Beschützerinstinkt wird geweckt und man fühlt sich noch etwas männlicher.
Interessanterweise funktioniert das nicht in allen Kulturen. Männer aus westlichen Kulturen, so wie ich, finden dieses Verhalten in der Regel bloss nervig, anstrengend und unangebracht.
Wenn eine chinesische Frau sich plötzlich in der Öffentlichkeit in einen verwöhnten Teenager verwandelt und ihr Partner sie dafür mit teuren Geschenken überhäuft, vergleicht man aus chinesischer Sicht diese Szene nicht selten mit einer Art Prinzessin, die etwas will und ihrem Prinzen, der ritterlich Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um ihre Wünsche zu erfüllen.
Aus westlicher Perspektive hingegen, haben sich beide gerade bloss zum öffentlichen Gespött gemacht.
Wie gesagt, hier gehen die Ansichten teilweise weit auseinander. Finden chinesische Männer westliche Frauen oft nicht feminin genug, da sie dieses Verhalten nicht an den Tag legen, sind ihre europäischen Counterparts in der Regel froh, weil sie es nicht tun.
Nicht zuletzt das (für eine entwickelte Gesellschaft eigentlich viel zu spät) errungene Bild der Frau als gleichberechtigtes Individuum in der westlichen Welt machen solch ein Verhalten bei uns fast unmöglich und lassen es für uns skurril erscheinen. Aber in anderen Kulturen ist eben vieles anders. Man könnte jetzt meinen, dass die Rolle der Frau in China nicht so frei sei wie bei uns, aber das würde ich aus diesem Verhalten so nicht herauslesen, denn es besteht doch zu einem nicht geringen Teil aus Schauspielerei, einer Art Rollenspiel, dem man auch nicht zu viel Bedeutung zukommen lassen sollte.
撒娇 (sā jiāo) wird angewandt um Aufmerksamkeit zu erregen, etwas zu bekommen, Widerspruch anzuzeigen und manchmal auch einfach so (So kommt es mir zumindest vor. Ich bin kein Experte, da ich persönlich als typischer Europäer solch einem Verhalten gegenüber weitestgehend immun bin).
Und da kommen wir auch schon zum Knackpunkt der Geschichte: In einigen interkulturellen Beziehungen zwischen Chinesinnen und Westlern kommt es durch gegenseitige Fehlinterpretation des jeweiligen Verhaltens der anderen Person nicht selten zum Streit.
Nicht alle Frauen aus Fernost verhalten sich so. Man kann auch, so wie ich, Glück haben und die Partnerin hat lange genug im Ausland gelebt um all zu extreme Verhaltensweisen wie diese abzulegen. Aber es gibt doch einige, vor allen Dingen sehr junge Frauen, bei denen es ein regelrechter Trend ist.
Wobei man auch nicht immer mit Sicherheit sagen kann, wieviel von dieser, teils filmreifen Vorstellung tatsächlich gespielt ist und wie viel ernst. Oft ist es eine mehr oder weniger subtile Art der Manipulation und jeder weiss es.
Aber, meist abhängig von der Kultur in der man aufgewachsen ist, lässt man(n) sich dann eben doch mehr oder weniger gerne in dieser Art manipulieren.
Dieses Verhalten kann man als Frau auch anwenden, wenn normale Argumente nicht mehr ziehen und man den Partner trotzdem in eine bestimmte Richtung führen will. Es wird also oft nicht mit den gleichen Mitteln gekämpft, wenn es um die Vorherrschaft im heimischen Hoheitsgebiet geht, sondern manchmal eben etwas verschleierter, in diesem Fall (theatralisch) weiblicher.
Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als würde die Frau sich hier unterwerfen, geht es doch sehr oft um Macht, die so ausgeübt werden kann, auch wenn man den Schein wahrt, dass der Mann der Herr im Haus sei.
Und während die Kinderlosen noch darüber ringen, wer denn nun zu Hause die Hosen anhat, freuen sich die Paare mit Kind bereits, wenn der Chef endlich im Bett liegt und schläft.
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