Der Expat und der Aal
Ein Steinlöwe am Eingang eines Parks. Der männliche Löwe hat immer einen Ball unter seiner Pranke, der weibliche ein Junges.
Was ist ein Expat überhaupt ? Wikipedia hat dazu folgende Definition: „Ein Expatriate (Plural -s; von englisch expatriate; ; von lateinisch ex ‚aus‘, ‚heraus‘ und patria ‚Vaterland‘), kurz Expat, ist in der Wirtschaft eine Fachkraft, die von dem international tätigen Unternehmen, bei dem sie beschäftigt ist, vorübergehend – meist für ein bis drei Jahre – an eine ausländische Zweigstelle entsandt wird.“
Also erst einmal genau das, was ich hier auch mache. Ich bin von meiner Firma auf unbestimmte Zeit entsandt worden um am Standort China zu arbeiten. So weit so gut.
Aber zum Expat-Leben gehört natürlich wesentlich mehr als bloss eine Definition. Expats sind eine Gruppe von Leuten, die sich auch untereinander vernetzen, alleine schon um es im täglichen Leben im Ausland etwas einfacher zu haben.
Nun, da bin ich schon raus. Ich lebe mit meiner Familie tatsächlich ein chinesisches Leben, ich habe keinen Zugang zu irgendwelchen Expat Gruppen und ich habe ihn auch nie gesucht. Ganz im Gegenteil: Ich wollte China immer hautnah erleben, was ja eben auch der Grund war erst einmal alleine für fast zwei Jahre nach Beijing zu ziehen und Chinesisch zu lernen.
Ich habe den Kontakt zu anderen Ausländern nicht direkt gemieden, aber ich habe ihn definitiv auch nicht gesucht. Und so haben sich mit der Zeit dann auch fast alle Kontakte in dieser Richtung im Sand verlaufen.
Hin und wieder treffe ich noch einmal einen anderen Ausländer um mit ihm wegzugehen, etwas zu essen, trinken und quatschen, aber das kommt nur alle paar Monate mal vor.
Entsprechend unterschiedlich sind auch die Sichtweisen. Ich möchte gerne sagen, dass ich im Gegensatz zu den anderen Expats hier das richtige Leben erleben darf, während sie bloss in ihrer Blase leben, aber das wäre natürlich nur die halbe Wahrheit, schliesslich gibt es so etwas wie das richtige Leben nicht. Jeder erfasst immer nur einen Teil des ganzen und ob der jetzt echt ist oder nicht, ist reine Definitionssache.
Es gibt so wohl das eine, als auch das andere Leben in China. Was viele Menschen leider immer vergessen und dann alles in einen Topf werfen.
Mein Blick auf das Leben in China ist eine Mischung aus der Sicht eines Ausländers und aus der Sicht eines Familienmitgliedes einer chinesischen Familie.
Es ist ganz natürlich, dass ich andere Erfahrungen mache als der Grossteil der anderen Expats. Aber anders bedeutet nun mal nicht unbedingt besser oder näher am Original.
Das kommt nämlich ganz auf die Situation an. Im täglichen Privatleben habe ich den meisten Ausländern bestimmt etwas voraus und viele Dinge erlebt, die sie niemals erfahren werden, dafür fehlen mir die Erfahrungen die sie machen.
Ich habe zum Beispiel überhaupt keine Ahnung wo man toll weggehen kann, kenne all die angesagten Clubs, Kneipen und Cafes nicht. Und auch zu den modernen, ausgeflippten Chinesen aus Mode, Kunst oder Unterhaltung, den (mehr oder weniger) Angesagten, die die Kultur neu prägen habe ich keinen Kontakt.
Etwas, das früher für mich wichtig war, aber heute fast keine Bedeutung mehr hat. Das mag auch daran liegen, dass man, wenn schon nicht weise, dann doch wenigstens langsam älter wird (ich weiss: das habe ich schon oft gesagt und rückblickend, wenn man wieder etwas älter geworden ist, mutet solch ein Spruch immer seltsam an. Aber es stimmt. Jedes Mal für den aktuellen Zeitpunkt, selbst wenn man es später wieder etwas differenziert betrachten sollte).
Ein Steinlöwe am Eingang eines Parks. Der männliche Löwe hat immer einen Ball unter seiner Pranke, der weibliche ein Junges.
Aber wie gesagt: Aus ihrer Sichtweise sind diese Dinge wichtig. Und diese Sichtweise legt ja lediglich den Fokus anders.
Denn wenn man einmal ehrlich zu sich selber ist, bemerkt man, dass die eigene Sichtweise auch ihre „Löcher“ hat.
„Löcher“, die es unter Umständen in der anderen Sichtweise nicht gibt. Es ist also alles mehr oder weniger das selbe.
Das erst einmal grundsätzlich. Wer aber glaubt, er würde China verstehen, weil er ein paar Jahre in einer Expat Enklave gelebt hat, den muss ich leider enttäuschen.
Auch wenn es ein ständiges Phänomen ist, dass Expats Vorträge halten darüber „wie die Chinesen denn ticken“, nachdem sie zwei, drei Jahre als Expat in einer Wohnanlage mit anderen Ausländern gewohnt haben, den Delikatessenladen wo man europäische Lebensmittel kaufen kann und das Steak Restaurant direkt vor der Haustüre, in dem festen Glauben dass die fünfzehn chinesischen Wörter, die sie gelernt haben ihnen Einblick in eine fremde Kultur geben könnten und die mit „die Chinesen“ ihre Bekannten meinen, die soweit westlich geprägt sind, dass sie problemlos zu allen anderen in den eigenen Freundeskreis passen, muss ich leider sagen: „Die Welt über die Ihr sprecht ist nicht die Welt über die Ihr glaubt zu sprechen“. Die Überschrift ist einfach falsch.
Das worüber hier berichtet wird, ist ein China das es definitiv gibt und in dem die Erzähler in der Regel auch eine Zeit lang gelebt haben, aber es ist nicht China. In keinster Weise. Ich würde mich freuen, wenn nicht jeder ständig behaupten würde, er wüsste wie China funktioniert.
Auch ich nehme mir nicht heraus zu behaupten es zu verstehen. Ich erarbeite mir mühsam meinen Weg zum Verständnis und teile meine Erfahrungen zum Teil hier in diesem Blog. Aber ich muss leider auch immer wieder feststellen, dass vieles doch nicht so ist, wie ich es bis dahin immer angenommen hatte. Ein Umstand, der meine chinesische Frau jedes Mal wieder zum Lachen bringt.
Man muss sein Wissen immer wieder anpassen mit jedem Stück, das man neu lernt. Viele Erkenntnisse sind gut auf dem Weg zum Verständnis, müssen aber früher oder später doch einer präziseren Erkenntnis weichen.
Eine fremde Kultur wirklich zu erleben ist keine Sache, die man in ein paar Jahren zusammen mit anderen Ausländern täglich nach der Arbeit macht um es dann, wenn man in die Heimat zurückkehrt letztendlich verstanden zu haben.
Eine fremde Kultur zu erlernen ist wie einen Aal mit den blossen Händen zu fangen. Nur wenn er sich genau so windet, dass er zufälligerweise nicht aus den Händen rutscht, hat man die Chance wieder etwas nachzufasssen und fester zuzugreifen.
Und man muss tatsächlich selber im Wasser stehen dafür, vom zusehen alleine wird man nicht schlau.
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