Napalm Death und Mickey Mouse
Ein Metallica T-Shirt war zu meiner Jugend Ausdruck von Protest gegen das Elternhaus, heute ist es nur noch ein Accessoire für die modebewusste, junge Frau.
In meinem Kopf bin ich zum Beispiel immer davon ausgegangen, dass ich mich noch einigermaßen auf einem Skateboard halten könnte.
Aber, wie sich leider herausgestellt hat, ist das nicht wie das sprichwörtliche Fahrradfahren.
So etwas verlernt man dann leider doch. Das musste ich erst kürzlich erfahren, als ich mich mal wieder auf eines gestellt habe.
Man könnte jetzt sagen, dass die Lenkung zu weich eingestellt war und man das entsprechende Board nicht gewöhnt ist, man kann aber auch der hässlichen Wahrheit einfach ins Gesicht schauen: Die Zeiten, als ich mit dem Skateboard auf dem Museumsvorplatz die Stufen rauf und runter gesprungen bin liegen über 30 Jahre zurück. Ich bin im Bezug auf Dinge wie Skateboard-fahren jetzt alt und unsportlich (was eigentlich nur eine schönere Umschreibung für „fett“ ist).
Ja, früher... Da war vieles anders. Und einiges auch sehr kompliziert...
Ich meine zur Zeit der jugendlichen Selbstfindungsphase. Damals hat man bereits versucht einen richtigen Weg für sich zu finden und zu bestimmen in welche Richtung man eigentlich gehen will.
Viele der Wege, die auch hin und wieder mal Irrwege waren, hat man in erheblichen Maße über die Kleidung signalisiert. Man wollte mit der passenden Ausstattung dazugehören bzw. sich abgrenzen.
Vieles hierbei ist in westlichen Kulturen damals bereits von findigen Unternehmen ausgenutzt worden.
Somit muss man unbedingt Markenklamotten haben und zwar genau passend für die jeweilige kleine Nische, in der man glaubt dazuzugehören.
Weite Hosen und T-Shirts von angesagten Skateboard-Marken zum Beispiel, bis man dann merkt, dass die hiesige Skateboard-Szene musikalisch einem ganz anderen Trend folgt, als man es selber tut.
Es besteht also wieder Bedarf etwas zu ändern, schliesslich trägt man in dieser Phase seines Daseins seine Seele im Gesicht, jeder soll sie sehen.
Irgendwann dann kommt auch einmal die bewusste Entscheidung gegen Markenklamotten und man kauft sich einen alten, abgetragenen Mantel aus dem „Kaufhaus Kilo“, einem kleinen Laden, in dem man Second-Hand Kleidung per Gewicht kaufen konnte.
Wichtig ist auf jeden Fall, sich abzusetzen von der Masse. Im Nachhinein fragt man sich: Welche Masse überhaupt?
So ziemlich alle Schülerinnen und Schüler zu dieser Zeit haben versucht sich von dieser ominösen Masse abzuheben und haben sie damit eigentlich erst entstehen lassen, diese Masse. Aber so ist das nun mal. Zumindest bei uns im Westen.
Ich habe immer wieder versucht herauszubekommen, ob es ein vergleichbares Phänomen in China auch gibt, aber das scheint, in dieser Form so tatsächlich nicht der Fall zu sein.
Natürlich werden derartige Verhaltensweisen auch in China kopiert, so wie sie in Deutschland von Amerika kopiert wurden. Aber es ist eben doch alles irgendwie anders.
Vermutlich, da sich die Jugendkulturen, so wie wir sie kennen, im Reich der Mitte nie entwickelt haben.
Somit ist ein T-Shirt von Napalm Death ebenso ein normales Kleidungsstück und unterscheidet sich in keinster Weise von der Mickey-Mouse-Kapuzenjacke mit den Mausohren.
Ähnliche Kombinationen findet man tatsächlich immer wieder auf Chinas Strassen (Vorausgesetzt die Schülerinnen und Schüler tragen nicht gerade ihre Schuluniform).
Auch so grenzt man sich in China nicht durch Subgenres voneinander ab, sondern entweder ganz konkret durch den Versuch schulisch oder anders besser zu sein indem man ein Instrument spielt, andere Sprachen spricht etc. oder eben durch teure Kleidung und Accessoires. Dabei wird dann bunt Punk mit Pop und Hip-Hop mit Gothik gemischt.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass neben der fehlenden Zeit, die man benötigen würde um einer jugendlichen Subkultur zu folgen, die Jugendlichen sich auch so nicht direkt im Schulalltag voneinander absetzen müssen, da sie bereits, abhängig von den finanziellen Mitteln der Eltern, eh schon voneinander getrennt sind und auf unterschiedliche Schulen gehen.
Denn eine gute Ausbildung bedeutet in China in der Regel auch, dass man sie sich leisten können muss.
Nicht alle sozialen Schichten begegnen sich auf Augenhöhe. Die Abgrenzung der aufstrebenden Mittelschicht von einfachen Handwerkern, Händlern oder Servicekräften ist unübersehbar. Darauf achten bereits die Eltern. Lediglich beruflich verkehrt man miteinander.
Die Schüler befinden sich also bereits in einer abgegrenzten Gruppe, in die sie vermeintlich hineingehören.
Um sich hier abzuheben benötigt man keine spezielle Musik oder ähnliches, sondern Intelligenz, gute Noten oder eben reiche Eltern, um sich auch hier noch etwas besser als die anderen fühlen zu können.
Kleidung spielt natürlich auch hier eine Rolle, drückt aber weniger eine Einstellung aus, ist kein Indiz für eine bestimmte Strömung, sondern sie spiegelt einfach auf Grund der Marken lediglich finanzielle Unabhängigkeit wider.
Ob das jetzt gut, oder schlecht ist, kann ich gar nicht beurteilen. Auf der einen Seite denke ich, dass ich viel Zeit, die ich mit solchen Dingen verschwendet habe besser hätte nutzen können.
Auf der anderen Seite ist natürlich nicht die komplette Zeit verwendet, da man aus unterschiedlichen Wegen, die man einschlagen konnte natürlich auch mit unterschiedlichen Erfahrungen wiedergekommen ist und ich glaube, dass ein zu sehr vordefinierter Weg mir persönlich wahrscheinlich zu langweilig gewesen wäre. So etwas kann man im nach hinein allerdings nur mutmaßen.
Wie auch immer: Die Kulturen gehen gerade hier extrem weit auseinander und es ist sehr schwierig in einem Gespräch mit Chinesen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, wenn man sich über die Dinge unterhält, die man in seiner Jugend gemacht hat (und das liegt jetzt nicht bloss an meinem seltsamen Lebensweg, den ich beschritten habe).
Es ist weder besser noch schlechter. Manchmal beneide ich die Chinesen für die Geradlinigkeit in ihrer Jugend und denke an all meine verpassten Chancen, die ich auf Grund von irgendwelchen Spinnereien, die mir zu der Zeit gerade wichtiger waren, nicht wahrgenommen habe. Aber dann denke ich auch an all das was ich dadurch gelernt habe und vor allen Dingen den Spass den ich dabei gehabt habe.
Es ist wahrscheinlich so wie immer, wenn man diese Dinge versucht miteinander zu vergleichen: Man kann, egal wie sehr man sich auch anstrengen mag, es nur aus seiner eigenen, bescheidenen Perspektive betrachten.
Nun, halten wir einfach fest: Die Erfahrungen, die man in frühen Zeiten gemacht hat und die einen geprägt haben, sind selbstverständlich abhängig von dem Umfeld, in dem man sich befindet. Das vergisst man immer leicht und wundert sich dann, wenn andere Menschen diese oder jene Ansicht nicht teilen.
Und gerade in unterschiedlichen Kulturen weichen diese Dinge teils stark voneinander ab.
Und doch schaffen es Teenager, hier wie dort, zu ganz normalen Erwachsenen heranzuwachsen (mehr oder weniger), die es dann auch tatsächlich schaffen, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Ist das nicht seltsam?
Man kann also durchaus durch unterschiedliche Erfahrungen zu den gleichen Erkenntnissen kommen und das sogar in unterschiedlichen Kulturen.
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