Schweine am Trog
Werbung eines Fotostudios, in dem man sich in original Kostümen der Peking Oper fotografieren lassen kann.
Das ganze Spektakel ist fremd und man kann es nicht richtig einordnen. „Ist es schlecht gemacht, oder ein Witz ?“ sind die Aussagen, die ich hier und da von anderen Ausländern schon mal hören kann.
Ich denke wir sind uns alle einig, dass die aufwendigen Kostüme und die teilweise zirkusreifen Tanz- bzw. Kampfkunstaufführungen auch bei Menschen aus anderen Ländern sofort Gefallen finden.
Aber zwei Dinge sind es, die die Peking Oper auf Leute aus dem Westen so befremdlich wirken lässt:
Zum einen die Musik. Es gibt keinen Takt. Das ist für das Hörverständnis eines durchschnittlichen Europäers erst einmal sehr skurril. Aber auch eine Melodie sucht man meist vergebens. Oft ist die lautmalerische Kulisse nur ein vermeintliches Klappern mit Stöcken und ein gefühlt infantiles herumtrommeln.
Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Die Schwerpunkte bei der Peking Oper liegen woanders, die Geräuschkulisse untermalt bloss das Schauspiel.
Aber auch hier gibt es eine Besonderheit an die man sich erst einmal gewöhnen muss: Die übertrieben hohen und extrem deutlich vorgetragenen Stimmen.
Eine Mischung aus übertrieben akzentuiertem Gespräch und Gesang, das an den Enden jedes Satzes oft in die Länge gezogen wird und teils recht grotesk anmutet.
Aber das ist natürlich nur wieder der Blickwinkel eines Aussenstehenden.
Denn sind wir mal ehrlich: Wenn man das erste mal eine Oper (so wie wir sie kennen) hört, fragt man sich auch wie um alles in der Welt man etwas mit einer derart künstlichen Stimme als schön empfinden kann. Bei Kindern kann man oft das Unverständnis in den Gesichtern ablesen, wenn man ihnen Opern vorspielt.
Es ist eine Kunstform, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. Ebenso verhält es sich auch mit der Peking Oper.
Kunststimmen hat es schon immer gegeben in der ein oder anderen Form. Manchmal um ein grosses Publikum ohne technische Hilfsmittel zu beschallen, manchmal um zusammen mit anderen Instrumenten den musikalischen Gesamtklang optimal zu gestalten oder auch einfach, weil man es als interessant, exotisch oder schön empfand und empfindet.
Die Sopran Stimmlage, die in der Regel nur Frauen oder Jungen vor dem Stimmbruch singen können, ist ein gutes Beispiel.
Da man diese Stimmlage interessant fand, hat man früher Sänger vor dem Stimmbruch kastriert, damit sie diese beibehalten.
Heutzutage versucht man dem Sopran in der Regel mit einer Gesangstechnik genannt Falsett-Stimme näher zu kommen.
Und diese Technik hat sich bis heute auch in der modernen Musik gehalten.
Judas Priest, Iron Maiden und Guns ‘n roses nutzen diese Technik, um nur drei der bekannteren zu nennen.
Aber wenn wir schon einmal bei moderner Musik und Kunststimmen sind: Da gibt es eine ganze Auswahl an unterschiedlichen Ausdrucksformen im Metal Bereich.
Denn die gepressten, oft tief aus der Kehle hervorgeholten Laute, die in der Regel den düsteren Charakter der Musik unterstreichen sollen, sind auch Kunststimmen.
„Schweine am Trog“ haben meine Eltern es früher genannt, als ich ihnen eine Platte von Sepultura vorgespielt habe.
Etliche Bands aus diversen musikalischen Richtungen nutzen heutzutage diese Techniken und auch viele, jüngere Bands bedienen sich gerne dieses stilistischen Mittels.
Was sich auf der Platte noch maskulin und heroisch dargestellt hat, verliert dabei oft seinen Charme, wenn man beim Livekonzert zu der animalischen Stimme nur einen schmächtigen Teenager mit Pickeln und langen Haaren auf der Bühne stehen sieht, der diese Laute einzig durch Technik, nicht durch Körperfülle erzeugt.
Man spricht hier von gutturalem Gesang, der sich aufteilt in growling (knurren), screaming (kreischen) und shouting (schreien).
Sie sehen schon, wohin das alles führt: Nur weil man etwas nicht kennt, sollte man es nicht sofort ablehnen oder sich darüber lustig machen. Oft steckt weit mehr dahinter, als man auf den ersten Blick erahnt.
Aber ich gebe zu: Auch bei mir hat es eine ganze Zeit gedauert, ehe ich mich an die Kunstform der Peking Oper gewöhnt habe. Es braucht manchmal einfach etwas Zeit.
In diesem Sinne wünsche ich viel Spass, wenn Sie das nächste Mal wieder Musik geniessen und vielleicht ist dann auch für sie der Freischütz ein kleines wenig näher an Bands wie Slayer und Co.
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