Träumer und Drängler
Es ist nie wirklich ersichtlich, wer sich im Strassenverkehr wie verhalten wird.
Ich habe als Kind gelernt, dass man unbedingt als Fussgänger auf der linken Seite laufen sollte, da man so die Fahrzeuge bereits bemerkt, bevor sie einen passieren.
Laut Strassenverkehrsordnung (StVO I. Allgemeine Verkehrsregeln §25 Fußgänger (1)) ist das ausserhalb geschlossenener Ortschaften sogar vorgeschrieben, innerhalb nur angeraten.
Aber für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich fühle mich sogar unwohl, wenn ich auf der anderen Seite laufe und die Fahrzeuge von hinten an mir vorbeirauschen.
Aber auch hier ist wieder alles anders in China. Alle laufen auf der rechten Seite in Richtung des Verkehrs.
Das ist nur wieder ein kleines Beispiel für die Unterschiede im Strassenverkehr, anhand dessen ich Ihnen versuche zu erklären, wie es auf Chinas Strassen zugeht.
Das ist aber gar nicht so einfach, da es kaum Gemeinsamkeiten zum deutschen Verkehr gibt.
Als Deutschem in China kommt es einem stets so vor, als seien Verkehrsregeln in China überhaupt nicht vorhanden.
Alle motorisierten Verkehrsteilnehmer verhalten sich wie Fussgänger, oder bestenfalls wie Fahrradfahrer.
Man fährt, wie es einem gerade passt, unabhängig von Fahrbahnmarkierungen, oft auch auf den entgegenkommenden oder den Fahrradspuren, in Einzelfällen sogar auf dem Gehsteig.
Es gibt, wie bei den Fahrradfahrern auch, unter den Autofahrern die Träumer und die Drängler und man kann nie sicher sein, wann wieder einer von ihnen ausschert und einen dazu zwingt zur Seite zu springen.
Ebenso haben Ampeln keine all zu grosse Aussagekraft. Man versteht sie eher als gut gemeinte Ratschläge denn als zwingend zu beachtendes Verkehrsleitmittel. (auch wenn ich mich immer wieder wiederhole, das kann man gar nicht oft genug sagen)
Im Strassenverkehr spiegelt sich, gerade in China, zu einem nicht unerheblichen Teil die hiesige Volksseele wieder.
Obwohl alte chinesische Lehren und Philosophen bis hin zur heutigen Regierung immer das Prinzip des „gross vor klein“ propagieren, so verhält sich der einzelne Chinese genau entgegengesetzt.
Kurz zur Erklärung: „gross vor klein“ bedeutet ganz platt gesagt, dass das Wohl des Einzelnen dem Wohl des Volkes bzw. der Familie, des Teams etc. untergeordnet werden soll.
Ein Bild mit Seltenheitswert: Eine Strasse ohne Verkehr, vor ihrer Eröffnung (Die Fahrbahnmarkierung fehlt noch).
Eine Adresse beginnt somit stets mit dem Land, dann der Stadt, Viertel, Strasse und so weiter. Und auch das Datum wird von gross nach klein geschrieben Jahr, Monat, Tag.
Aber wie das oft so ist, mit gut gemeinten Vorgaben, sie werden im täglichen Leben nicht angewendet, oder, wie in China, verkehren sich sogar ins Gegenteil.
Jeder will immer der erste sein. Bei den Menschenmassen gar nicht so einfach.
In einem Land in dem man stets zurückstecken soll, ist es offensichtlich ein Bedürfnis seinen Egoismus auszuleben.
Egal ob man sich ein teures Auto kauft, mit dem man sich profilieren kann oder man sich an der Kasse vordrängelt, alles hat irgendwie damit zu tun.
Und gerade im Strassenverkehr tritt dieses unbefriedigte Verlangen zu Tage.
Mir fällt immer wieder auf, dass Chinesen, besonders Ausländern gegenüber, sich immer in eine bessere Position drängeln wollen.
Geht man auf dem Bürgersteig die Strasse entlang, drängen ständig Leute von der Seite, die sich vor einen drücken wollen.
Egal ob Auto, Roller oder Fahrrad. Geparkt wird, wo Platz ist. Müssen die Fussgänger halt auf der Strasse laufen.
Dann gibt es noch die Auto- bzw. Roller- oder Fahrradfahrer, die einem beim überqueren der Strasse unbedingt den Weg abschneiden müssen.
Man hat die andere Strassenseite fast erreicht und hinter einem sind ganze vier Fahrspuren frei, auf denen man ohne Probleme vorbeiziehen könnte.
Aber der Reflex ist immer wieder der gleiche: Die bis dahin müde dahintuckelnden Gefährte beschleunigen plötzlich, um einen auf dem letzten Meter auf der Strasse noch zu zwingen stehen zu bleiben.
Sie werden sicher, genau wie ich, bereits erkennen, dass die Staus, die in Chinas Grossstädten herrschen, nicht nur etwas mit der Anzahl der Fahrzeuge zu tun haben, sondern auch mit den Eigenarten der Einheimischen im Strassenverkehr.
Interessanterweise sehen sich die Fahrer, die durch ihre unvorhersehbaren Spurwechsel, Brems- und Beschleunigungsmanöver den restlichen Verkehr ausbremsen und eigentlich die Verursacher der Staus schlechthin sind, noch als gute Fahrer.
Srassenverkäufer stellen sich nicht selten mitten auf die Strasse um besser gesehen zu werden und behindern dort den Verkehr.
Aber das ist eine andere Geschichte und soll (ganz nach Michael Ende) ein andermal erzählt werden.
Überhaupt fragt man sich, ob es so etwas wie „vorauschauendes Fahren“ in China überhaupt gibt.
Auf Abbiegerspuren immer wieder zu beobachten ist folgendes Phänomen: Der an einer Kreuzung nach links abbiegende Wagen fährt eine ganz Enge Kurve, kurz vor den Kühlern der wartenden Autos des kreuzenden Verkehrs entlang, um sich dann durch die Menschentraube zu drücken, die gerade die Strasse überquert, statt einfach einen normal grossen Bogen zu nehmen und die Fussgänger einfach problemlos zu umfahren.
Egal ob motorisiert, auf dem Fahrrad oder als Fussgänger, das Bild ist immer wieder das gleiche: Stur die eigene Linie gehen oder fahren (wobei diese oft auch mal einem unvorhersehbaren Zickzackkurs gleichen kann), um dann zu merken dass es nicht weiter geht und erst einmal stehen bleiben und den restlichen Verkehr aufhalten.
Oft verursacht derartiges Verhalten eine Kettenreaktion, so dass die folgenden Verkehrsteilnehmer ihrerseits dazu gezwungen sind stehen zu bleiben und auszuweichen, was wiederum andere dazu bringt stehen zu bleiben und auszuweichen. Und immer so weiter.
(Wer gerne mehr über dieses Thema wissen möchte, kann sich unter dem Schlüsseltwort Phantomstau schlau machen, oder einmal nach dem Nagel-Schreckenberg-Modell suchen).
Ich habe oft das Gefühl, dass Chinesen Probleme regelrecht suchen.
Im Artikel Kompliziert hatte ich ja bereits einmal darüber berichtet. Seitdem hat sich diese Vermutung mit jedem Tag erhärtet.
Ich habe keine Ahnung warum das so ist, aber es ist auf jeden Fall interessant.
Nachtrag vom 06.04.2017:
Ich bin von einer Kollegin darauf hingewiesen worden, dass man diesen Artikel schnell missverstehen kann und ich muss eingestehen: Sie hat Recht.
Obwohl das Verhalten der Chinesen im Strassenverkehr gewöhnungsbedürftig bis hochgradig unverschämt ist, so ist es doch nie aggressiv.
Wo sich deutsche Verkehrsteilnehmer des öfteren schon mal dazu hinreissen lassen den Mittelfinger zu zeigen oder fluchend Hasstiraden abzulassen, wenn sie der Meinung sind man hätte ihnen Unrecht getan, so bleibt man in China durchweg entspannt.
Es wird gedrängelt, gehupt und versucht sich einen Vorteil zu verschaffen, aber nie mit aller Gewalt. Und wenn man sieht, dass es nicht geht, dann gibt man auch nach, sucht sich einen anderen Weg oder wartet.
In dieser Beziehung muss ich ganz klar sagen, sind die Chinesen, was was Umgangsformen angeht ganz weit vorne.
Auch wenn es erst im zweiten Anlauf ist, nachdem sie im ersten nicht bekommen haben, was sie wollten.
Aber es läuft stets alles friedlich ab.
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China Blog am : Highway to hell
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Bus mit der Nummer 666.„Highway to hell“ (ich denke, die Übersetzung ins Deutsche kann ich mir an dieser Stelle sparen) war der Titel eines Liedes und des gleichnamigen Albums der Gruppe AC/DC. Herausgebracht 1979 noch von der Ursprungsbesetzung, also mi Kommentar (1)
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